Friedrich Flick und das Städtedreieck

Dr. Friedrich Flick (10.07.1883-20.07.1972) – Ein Stahlbaron aus dem Siegerland und seine Verbindungen zum Städtedreieck

Friedrich Flick verstarb im Alter von 89 Jahren am 20. Juli 1972 im badischen Konstanz. Bereits zu Lebzeiten eilte ihm der Ruf voraus, als Selfmademilliardär zum reichsten Bürger der Bundesrepublik Deutschland geworden zu sein. Angeblich verfügte er am Ende seines Lebens über ein Vermögen von 6 Milliarden DM, was ihn vermutlich weltweit zum fünftreichsten Menschen auf der Welt machte. Als Sohn eines Landwirts, der durch den Handel mit Grubenholz für Bergwerke zu einem gewissen Wohlstand gelangt war, schaffte er innerhalb einer Generation den Aufstieg in die höchste deutsche Finanzelite, obwohl er Zeit seines Lebens von den etablierten Ruhrbaronen (Krupp, Thyssen, Klöckner, Haniel etc.) als Parvenü und Emporkömmling betrachtet worden war.[1]

Aus heutiger Sicht handelt es sich bei ihm um eine deutsche Mischung aus den amerikanischen Milliardären Warren Buffett und Howard Hughes: H. Hughes u.a. deswegen, weil Flick wie dieser exzentrische Charakterzüge entwickelte (beide verbrachten ihre letzten Lebensjahre in einem Hotel) und auch Hughes im 2. Weltkrieg die amerikanische Armee mit Waffen versorgt hatte; W. Buffett, weil beide die Kunst entwickelten, unterbewertete Unternehmen zu erkennen. Auch der unlängst verstorbene Heinz Hermann Thiele (1941-2021, Eigentümer der Knorr Bremse AG) kann in diesem Zusammenhang genannt werden, da er wie Flick als Selfmademilliardär bezeichnet werden konnte.  Was Flick allerdings von diesem illustren Personenkreis unterschied, war die Diktaturerfahrung: Nur er machte Geschäfte in einem diktatorisch regierten System.

Am Anfang seiner Karriere stand eine kaufmännische Lehre in einem Hüttenwerk, am Ende der Besitz von über 300 Firmen, bei denen über 300 000 Menschen beschäftigt waren. Neben einem 40-prozentigem Anteil an der Daimler AG gehörte ihm u.a. auch die oberpfälzische Maxhütte. Als genialer Finanzjongleuer, Börsenspekulant und Montanunternehmer, der sich durch ein Studium der Wirtschaftswissenschaften auch auf eine fundierte wissenschaftliche Ausbildung berufen konnte, erwies er sich in seinem gesamten Leben als Industrieller, der Chancen zu nutzen wusste und im politischen Milieu der Reichshauptstadt Berlin bzw. der späteren Bundeshauptstadt Bonn als unauffälliger, aber enorm einflussreicher Strippenzieher im Hintergrund agierte, um seine Ziele zu erreichen. Zustatten kam ihm auch das Talent, ökonomisches Wissen mit wissenschaftlich-technischen Fragen zu kombinieren. Flick interessierte sich sowohl für die Bilanzen seiner Unternehmen als auch für die Verbesserung technischer Verfahren. Sein Gedächtnis für Geschäftsdetails war legendär und wurde im Nachruf der MZ vom 23.07.1972 besonders hervorgehoben.

Obwohl er nach seiner Kaufmannslehre erfolgreich ein Studium absolviert hatte, konnte er seine akademische Ausbildung nicht mit einer Promotion abschließen. Bei dem ihm immer zugeschriebenen Doktortitel handelte es sich um einen Ehrendoktor. Trotzdem wurde er in der Geschäftskorrespondenz (z.B. mit den Städten Maxhütte-Haidhof und Teublitz) grundsätzlich als Herr Doktor Flick tituliert. Neben mehreren Verleihungen eines Ehrendoktors (Dr. rer. pol. h.c. in Köln und Dr. ing. h.c. in Breslau) wurde er u.a. auch nach 1945 als Ehrensenator der Technischen Universität in Berlin ausgezeichnet.  In den USA erhielt er von der Universität Fort Wayne in Indiana den Ehrendoktor. Das Dritte Reich verlieh ihm den Titel „Wehrwirtschaftsführer“, der an die an die Vorstände rüstungswichtiger Betriebe ging (Deutsche Allgemeine Zeitung, 10.07.1943). Die Bundesrepublik zeichnete ihn mit dem Großen Bundesverdienstkreuz mit Stern und Schulterband 1963 aus, der Freistaat Bayern mit dem Bayerischen Verdienstorden. Die IHK Regensburg machte ihn aufgrund seiner „Verdienste um Oberpfälzer Wirtschaft“ zum Ehrenpräsidenten, wie die MZ vom 22.07.1972 hervorhob.

Die Stadt Maxhütte verlieh ihm bei ihrer Stadterhebung 1953 die Ehrenbürgerwürde und zeichnete ihn später mit einer Straßenbenennung aus, Teublitz, 1953 ebenfalls zur Stadt erhoben, ehrte ihn im gleichen Jahr mit einer Straßenbenennung.

Obwohl (im Gegensatz zu vielen anderen Industriellen seiner Zeit) ohne direkten politischen Ehrgeiz, gelang es ihm ein Leben lang, die große Politik für seine Zwecke zu nutzen, um  zum reichsten Mann Deutschlands zu werden. Den Vorwurf, ein Opportunist zu sein, der alles seinem finanziellen Ehrgeiz unterordnete, hätte er zumindest in jungen Jahren kaum entkräften können. Im Nürnberger Prozess 1947 wurde dieses Verhalten sogar als Argument der Verteidigung benutzt: „Für die deutsche Industrie sei die Politik immer nur ein Mittel zum Zweck gewesen. Sie habe sich immer mit jener politischen Macht verbunden, die ihr einen Vorteil gewährte.“ (Die Welt, 22.07.1947)

In der Hyperinflation 1923 erwies er sich wie auch Hugo Stinnes als Inflationsgewinnler, am Beginn der dreißiger Jahre, in der Weltwirtschaftskrise aktivierte er seine Netzwerke in Berlin, um mit staatlicher Unterstützung den beinahe unvermeidlichen Konkurs seines Firmenkonglomerats abzuwenden. In einem Artikel zu seinem 60. Geburtstag standen die Sätze: „Zeitweise war Flick der meistgenannte Mann unter sämtlichen deutschen Industriellen und was man über ihn sagte, lautete nicht immer gerade freundlich.“ Der Verfasser des Artikels verwahrte sich allerdings dagegen, ihn als „Spekulanten“ zu bezeichnen. (Deutsche Bergwerks-Zeitung, 09.07.1943) Die „Berliner Börsen-Zeitung“ bezeichnete ihn am 09.07.1943 zu seinem 60. Geburtstag als „eine der markantesten Unternehmerpersönlichkeiten“ der letzten Jahrzehnte in Deutschland, verwies aber zugleich auf seine offenkundige Scheu, in der Öffentlichkeit aufzutreten. Zugleich machte die Frankfurter Zeitung am 10.07.1943 darauf aufmerksam, dass es sich bei ihm um einen Verhandlungspartner handelte, der über ein enormes strategisches Geschick verfügte, „… Kräfteverhältnisse richtig einzuschätzen …“, um bei Verhandlungen proaktiv handeln zu können. „Weitschauende finanzielle und finanzjuristische Vorsorge und sparsamste Kalkulation verhalfen zum Gelingen.“ Die Berliner „Deutsche Allgemeine Zeitung“ vom 10.07.1943 bescheinigte ihm eine besondere analytische Begabung, die mit unternehmerischer Kreativität einherging und die Fähigkeit, kaufmännisches und naturwissenschaftliches Denken miteinander zu verbinden. Zusätzlich verfügte er nach Angaben 

dieser Zeitung über das Talent, für Führungspositionen die richtigen Mitarbeiter zu finden. Der Hamburgische Correspondent vom 28.06.1932 bescheinigte ihm „überragende Intelligenz“ und „draufgängerische Art“.

Im Dritten Reich profitierte er im nicht geringen Maße von der Arisierung jüdischer Unternehmen. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs wurde er aufgrund seiner Rolle als bedeutender Hersteller von Rüstungsgütern für die deutsche Wehrmacht 1947 in Nürnberg zu sieben Jahren Haft als Kriegsverbrecher verurteilt. Bereits im Frühjahr 1950 erfolgte die Begnadigung, allerdings wurde bei der Urteilsverkündung die 30-monatige Untersuchungshaft bereits angerechnet. Die Londoner Times merkte dazu aber an, dass es sich hier um ein relativ mildes Urteil handelte und der Vorwurf, einen Angriffskrieg vorbereitet zu haben, fallengelassen worden war. Flick wurde wegen der Beschäftigung von Zwangsarbeitern („Sklavenarbeiterprogramm“), der Beteiligung an Verbrechen der SS und der Ausplünderung eroberter Gebiete verurteilt (23.12.1947).

Das Gericht räumte dabei ein (MZ vom 30.12.1947), dass die Beschuldigten bei der Arbeitskräftebeschaffung praktisch über keine Alternativen verfügt hätten, da es sich hier um ein staatliches Programm gehandelt hatte. Flick wurde allerdings zur Last gelegt, dass er und seine Mitarbeiter für eine Waggonfabrik ausdrücklich russische Kriegsgefangene als Arbeitskräfte angefordert hatten, so dass der Tatbestand des „Personennotstand“, den die Verteidigung anführte, nicht hundertprozentig gelten konnte. Beim Anklagepunkt „Plünderungen“, wurde Flick sein Verhalten bei der Übernahme eines lothringischen Hüttenwerks angekreidet. Nach Aussage der Mittelbayerischen stellte das Gericht jedoch auch fest, dass die Angeklagten beim Flick-Prozess „keine Plünderung im gewöhnlichen Sinn des Wortes“ zu verantworten hatten. Das (amerikanische) Gericht beharrte jedoch auf dem Standpunkt, dass „auch Privatpersonen und nicht nur Staaten oder ihre Regierungsmitglieder dem Völkerrecht gegenüber gebunden seien.“ Da das Gericht sich nur am Völkerrecht orientierte, wurden die Vorwürfe, die sich aus der Arisierung jüdischer Unternehmen vor 1939 ergeben hatten, hier nicht verhandelt. Für Dr. Hermann Terberger (1892-1975), der im Flick-Konzern für die Maxhütte verantwortlich gewesen war, endete der Nürnberger Prozess mit einem Freispruch, da ihm in Bezug auf die Zwangsarbeiterfrage kein Fehlverhalten nachgewiesen werden konnte. Seine Verteidigung konnte entsprechende Nachweise erbringen, dass er sich um bessere Arbeitsbedingungen bemüht hatte. Obwohl alle Verfahrensbeteiligten nicht übersehen konnten, dass Flick bis 1944 jährlich 100 000 RM an Heinrich Himmler (angeblich für kulturelle Zwecke) gespendet hatte, wurde trotzdem schnell klar, dass die Anklage im Prozess einen entscheidenden Fehler begangen hatte: Der Versuch, F. Flick zu dämonisieren und ihn als Inbegriff des bösen, verantwortungslosen Kapitalisten zu charakterisieren, funktionierte nicht. Die amerikanischen Richter  waren um eine objektivere Haltung bemüht und akzeptierten auch die Argumente der Verteidigung. Flick hatte im Übrigen vor 1933 an beinahe alle politischen Parteien, auch an die SPD, gespendet. Als vorsichtiger Mensch sicherte sich Flick immer nach allen Seiten ab, so dass die Zahlungen an Himmler wohl auch dazu gedacht waren, Görings industriepolitische Ambitionen, die Flick gefährlich werden konnten, einzuhegen. Obwohl Flick bis 1945 in der deutschen Öffentlichkeit alles andere als beliebt gewesen war, veränderte sich dieses Bild durch seine Haft: Jetzt wurde er als Teil des deutschen Verhängnisses, als Mitläufer, aber eben nicht als Hauptverantwortlicher oder Urheber betrachtet. Möglicherweise konnten sich viele Unternehmer, (ehemalige) Beamte und NSDAP-Mitglieder („Parteigenossen (Pgs)“ mit ihm und seiner Rolle im Dritten Reich identifizieren.[2]

Obwohl ihm seit der Weimarer Republik der Nimbus vorauseilte, Deutschlands reichster Mann zu sein, ist über sein Privatleben nur wenig an die Öffentlichkeit gelangt. Anscheinend tauchte er auch nach 1945 in den Spalten der Klatschpresse kaum auf. Auch über einen übertrieben aufwendigen, ausschweifenden Lebensstil ist nichts bekannt, Flick genügte es anscheinend, immer reicher zu werden, hielt sich dabei aber im Hintergrund. Bis zum Beginn des Nürnberger Prozesses gab es so gut wie keine Fotos des Industriemagnaten (Der Spiegel, 16.09.1958). Öffentlich wurde nur, dass er, wie viele seiner Standesgenossen, gerne auf die Jagd ging. Angeblich trank er keinen Alkohol, rauchte (wenige und billige) Zigarren und ging gerne mit seinem Hund spazieren.[3]

In einem Nachruf der Züricher Zeitung „Die Tat“ am 22.07.1972 erwähnte das Blatt zusätzlich seine legendäre Sparsamkeit. Flick bevorzugte Fahrten mit der Deutschen Bundesbahn, am Beginn seiner Karriere immer in der 3. Klasse. Flugzeuge und Autos verabscheute er, zudem besaß er keinen Führerschein, obwohl es sich bei ihm um den größten Aktionär der Daimler AG handelte. Die Schlagzeile lautete: „Friedrich Flick – Milliardär ohne Besonderheiten“. Auch der Nachruf in der MZ vom 23.07.1972 ging auf seine sparsame Lebensweise ein. Sie titelte: „Der mächtigste Unbekannte lebte wie ein Mönch“. Angeblich aß er am liebsten Erbsensuppe, die er mit Hilfe eines „Henkelmanns“ transportierte.

Die Verbindungen zur Oberpfalz ergaben sich 1929 durch den Kauf der Maximilianshütte, am 29.09., kurz vor dem Börsenkrach in New York, der die Weltwirtschaftskrise auslöste. Nach der Überwindung der dadurch ausgelösten Finanzprobleme, die beinahe zum Konkurs geführt hätten, wenn ihm nicht die Reichsregierung in Berlin beigestanden hätte („Gelsenberg-Affäre“, auch „Gelsenkirchen-Affäre“ oder „Gelsen-Affäre“ genannt), bündelte er seine umfangreichen Besitzungen 1937 in der Friedrich Flick KG, die als Holding diente. Wie bei vielen anderen Finanzskandalen hatte er durch geschickte Kapitalverschiebungen und Transaktionen jahrelang die Überschuldung seines Konglomerats verheimlichen können, wie die SPD-Zeitung „Vorwärts“ am 21.06.1932 spekulierte. Andererseits räumte die Presse (Das Reich, 28.09.1941) ein, dass Flick unternehmerisch immer vorsichtig agiert hatte. „Seine Beteiligungen standen so niedrig zu Buch und seine Kredite schienen so gut gedeckt, daß ihm nach menschlichem Ermesse nichts passieren konnte. Aber der Bergrutsch des Jahres 1931 lag außerhalb aller Voraussicht.“ Flick erreichte die staatliche Unterstützung auch durch das Argument, dass ansonsten Teile der deutschen Schwerindustrie in ausländische Hände gelangt wären.

Tatsächlich handelte es sich bei dieser F. Flick Kommanditgesellschaft um eine Personengesellschaft, die im Gegensatz zu einer AG mit einer sehr viel geringeren Publizitätspflicht agieren konnte. Da Flick durch die Folgen des 2. Weltkriegs seine Industriebeteiligungen in Mitteldeutschland und im Osten verloren hatte, bildete die Maxhütte von nun an die Kernzelle seiner Unternehmungen.

Die am 15.06.1953 mit 11 zu 3 Stimmen im Stadtrat von Maxhütte (erst ab 1956 Maxhütte-Haidhof) beschlossene Verleihung der Ehrenbürgerwürde, konnte nach seiner Verurteilung als Kriegsverbrecher durchaus als gesellschaftliche Rehabilitierung verstanden werden. Die Gegenstimmen kamen wahrscheinlich aus der kommunistischen Fraktion. Den Anlass für die Ehrung lieferte der 70. Geburtstag des Stahlmagnaten am 10.07. Die Begründung lautete: „Herrn Dr. Friedrich Flick auf Grund seiner großen Verdienste, die er sich um die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Entwicklung der Industriegemeinde Maxhütte erworben hat, anlässlich seines 70. Geburtstages zum Ehrenbürger zu ernennen.“ Am Samstag, den 11.07.1953, einen Tag nach seinem 70. Geburtstag, überreichte Bürgermeister Schäffer dem neuen Ehrenbürger persönlich die Urkunde in der Villa Dreyfuß im oberbayerischen Kreuth (OT Grüneck, Landkreis Miesbach). 26 Jahre später, am 27.07.1979 beschloss der Stadtrat einstimmig die Benennung einer „Friedrich-Flick-Straße“, bei der i.G. zu Teublitz auf die Nennung eines Doktortitels verzichtet wurde. Der Eintrag im Protokoll lautete lapidar: „Der neue Straßenzug … erhält die Bezeichnung ‚Friedrich-Flick-Straße‘.“

Im benachbarten Teublitz erfolgte die Straßenbenennung für die Dr.-Friedrich-Flick-Straße am 29.07.1953 einstimmig: „Mit der Bezeichnung dieser neuen Straße nach dem Namen des Herrn Dr. Flick möchte der Marktgemeinderat seinen gebührenden Dank für die hohen Verdienste um die Werktätigen der Marktgemeinde Teublitz sichtbaren Ausdruck verleihen. Damit soll auch der Name des Herrn Dr. Flick in der künftigen Stadt Teublitz in steter Erinnerung bleiben.“ Erwähnt wurden auch die „großen Verdienste“, die sich Flick „für die wirtschaftliche, kulturelle und soziale Aufwärtsentwicklung“ in Teublitz erworben hatte. Tatsächlich befanden sich in der neuen Straße nur Wohnungsneubauten, die durch das Wohnungsbauprogramm des Eisenwerks zustande gekommen waren. Die Tatsache einer gewissen nachbarschaftlichen Rivalität der beiden Kommunen Teublitz und Maxhütte-Haidhof im Umkreis der Maximilianshütte war hier natürlich unübersehbar. In einem Schreiben an den Konzernchef nach Düsseldorf am 04.08.1953, der um die Zustimmung für die Ehrung bat, erwähnte Bürgermeister Hochstettler seine Dankbarkeit „für Ihre hohen Verdienste um die Werktätigen“ in Teublitz. „Ihr geschätzter Name soll damit der künftigen Stadt Teublitz in steter Erinnerung bleiben.“ Im Antwortschreiben von Friedrich Flick vom 06.08.1953, in dem er selbst keinen Doktortitel in Anspruch nahm (im Briefkopf stand immer nur „FR. Flick“), sprach er seinen „herzlichsten Dank“ und seine große Befriedigung für die Ehrung aus. Teublitz bestätigte am 21.08.1953 den Eingang des Schreibens „mit einer außerordentlichen Freude“. Zum 70. Geburtstag sprach die Stadt Teublitz zusätzlich in einem Glückwunschtelegramm, das nach Kreuth geschickt wurde, ihren aufrichtigen und innigen Dank für die großen Taten und das soziale Wohlwollen unseren Maxhüttearbeitern gegenüber aus.

Obwohl in den Schreiben der beiden Stadtverwaltungen von Maxhütte-Haidhof und Teublitz an den Konzernchef und Ehrenbürger nach Düsseldorf ein devoter, untertäniger Tonfall nicht zu überhören ist, war das Einvernehmen zwischen den Verantwortlichen der Stadt, den Arbeitern und dem Industrietycoon nicht nur gespielt. Einerseits handelte es sich hier um die Fortführung des Gefolgschafts-Modells, das im Dritten Reich entwickelt worden war, andererseits erwarb sich Flick tatsächlich Sympathien, da die Maxhütte nach 1945 eine aktive Sozialpolitik betrieb und Wohnungen baute. Sowohl die Stadt Maxhütte (25 000 DM) als auch Teublitz (28 000 DM) konnten sich anlässlich ihrer Stadterhebung über eine großzügige Spende freuen. Zu vielen Bauvorhaben der Stadt Maxhütte leistete das namensgebende Werk Zuschüsse. Sehr schnell geriet in Vergessenheit, dass die frühere Gemeinde und spätere Stadt Maxhütte bis 1938 Ibenthann geheißen hatte. Das Eisenwerk und die Kommune bildeten nicht nur aufgrund des gleichen Namens eine Einheit, in der das Werk und das Gemeinwesen symbiotisch miteinander verbunden waren. Anlässlich seines 80. Geburtstags rief der Konzernchef 1963 zusätzlich eine gemeinnützige Stiftung ins Leben, die mit einer Million DM ausgestattet wurde. (Naabtal-Kurier, 10.07.1963)

Das Bild eines Wohltäters, das Flick in diesen Jahren gerne kultivierte, war demnach nicht gänzlich aus der Luft gegriffen. Am 22.04.1964 lautete ein Eintrag im Sitzungsbuch von Maxhütte-Haidhof: „… daß der Ehrenbürger Dr. Friedrich Flick, anläßlich des Besuches des Eisenwerkes, auch dem Rathaus einen kurzen Besuch abstattete.“ Dabei trug er sich in das Goldene Buch der Stadt ein. Notorisch öffentlichkeitsscheu, waren auf Wunsch von Flick dabei nur der Bürgermeister, die beiden Fraktionsführer und der Geschäftsleiter der Stadt anwesend. Der Besitzer der Maxhütte überreichte zudem einen Scheck i.H. von 5000 DM.

Nicht übersehen werden darf bei der Ehrenbürgerverleihung 1953, dass der Kalte Krieg, die Konfrontation mit der DDR (damals auch noch gerne als SBZ bezeichnet) und der Volksaufstand in Ost-Berlin, der zwei Tage nach dem Beschluss zur Ehrenbürgerverleihung am 17. Juni 1953 ausbrach, den vergangenen Krieg in den Hintergrund treten ließ. Da auch noch 1953 deutsche Kriegsgefangene in Russland festgehalten wurden und viele Heimatvertriebene ihren Besitz verloren hatten, besaß das Thema Zwangsarbeit im 2. Weltkrieg keinen großen Stellenwert mehr für die Bevölkerung. Die Verstrickungen in die Untaten des Nationalsozialismus wurden bis zum Beginn des Eichmann-Prozesses 1961 gerne verdrängt. Eine Vergangenheitsbewältigung fand zwar statt, aber in diesen Jahren nur in einem geringen Ausmaß, da die Menschen am Beginn des Wirtschaftswunders vergessen wollten. Allerdings führten alleine die Restitutionsforderungen jüdischer Vorbesitzer, die im 3. Reich durch Arisierungsmaßnahmen enteignet worden waren, in den 50er Jahren zu Gerichtsverfahren, die von der Öffentlichkeit kaum übersehen werden konnten. Davon war selbstverständlich auch die F. Flick KG betroffen.

Obwohl der Bevölkerung zumindest bis in die 60er Jahre klar war, dass im Werksgelände der Maxhütte ein STALAG für Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter bestanden hatte, geriet dieses Wissen in späteren Jahren immer mehr in Vergessenheit. Zudem darf nicht übersehen werden, dass es sich hier tatsächlich um ein Lager für Kriegsgefangene handelte, aber um kein KZ, in dem Menschen aus politischen, rassischen oder religiösen Gründen umgebracht wurden. Flick war als eher unpolitischer Mensch an der Gewinnmaximierung interessiert, nicht an den dumpfen ideologischen Vorstellungen, wie sie bei der NSDAP gepflegt wurden. Wenn überhaupt, dann stand er politisch dem nationalliberalen Lager (Deutsche Volkspartei) nahe, was ihn von den übrigen Ruhrbaronen unterschied, die deutschnational dachten. Im Gegensatz zu den etablierten Ruhrbaronen versuchte er auch nie, durch Zeitungen direkten Einfluss auf die öffentliche Meinung zu nehmen. Während die Familie Haniel z.B. Anteile an den Münchner Neuesten Nachrichten (heute SZ) erwarben,[4] und Alfred Hugenberg (1865–1951) ein Presseimperium aufbaute, um seine politische Karriere voranzutreiben, bevorzugte Flick seine Anonymität. Seine Konzernzentralen in Berlin und später in Düsseldorf waren auf den ersten Blick als solche kaum zu erkennen. Die Deutsche Bergwerks-Zeitung vom 09.07.1943 berichtete von einem „wenig repräsentativen Gebäude“ bzw. einem großen unscheinbaren Häuserblock in der Berliner Bellevuestraße. Sie gaben aber dem Betrachter zu verstehen, dass ihr Besitzer im Hintergrund bleiben wollte und seine finanziellen Mittel sparsam verwendete. Zudem machte der geringe Umfang der Zentrale klar, dass Flick einen dezentralen Führungsstil bevorzugte.[5]

Friedrich Flick entstammte dem protestantischen Milieu und die Frage, ob es sich bei ihm um einen religiösen Menschen handelte, sollte vermutlich mit ja beantwortet werden. In der Literatur finden sich Belege, dass er sich selbst als gläubigen Protestanten betrachtete.[6] Bei der offiziellen Trauerfeier in Düsseldorf erwähnte Konrad Kaletsch, in seiner Ansprache ausdrücklich, dass der Pfarrer, der die kirchliche Trauerfeier in Flicks Geburtsort Ernsdorf (heute Stadt Kreuztal) leitete, mit dem Ehepaar Flick über Jahrzehnte verbunden war. Eindeutig stellte er fest: „Friedrich Flick stand fest in seinem Glauben …“[7] Bei K. Kaletsch handelte es sich um einen Neffen von F. Flick und leitenden Angestellten in seiner Konzernzentrale, der im Gegensatz zu seinem Onkel in Nürnberg freigesprochen wurde.

Darüber hinaus spendete Flick anscheinend hohe Beträge an die Katholische Kirche. In Maxhütte-Haidhof unterstützte er konkret das (katholische) Kinder- und Jugendheim und die Vergrößerung des evangelischen und katholischen Friedhofs (BZ vom 19.06.1953).

Flicks Interesse an der oberpfälzischen Maxhütte bzw. an ihrer Beibehaltung im Firmenportfolio war am Beginn der fünfziger Jahre übrigens nach Aussage der MZ vom 22.07.1972 auch noch durch einen weiteren Punkt geweckt worden: Die Maxhütte verfügte in Oberfranken über Schürfrechte für Uran. Als vorausschauender Geschäftsmann hatte Flick dieses Geschäftsfeld sehr schnell als lukrative Nische entdeckt, obwohl sich die damit verbundenen Hoffnungen nicht erfüllten.

Friedrich Flicks Biographie enthält Höhen und Tiefen. Sicherlich kann nicht wegdiskutiert werden, dass er in der Zeit des Nationalsozialismus Unrecht beging. Andererseits sollten seine sozialpolitischen Maßnahmen nach 1945 nicht nur als geschickte PR-Politik missverstanden werden. Obwohl entsprechende Quellenbelege fehlen (es existieren weder ein Nachlass noch sonstige Selbstzeugnisse von Flick), darf unterstellt werden, dass er sich tatsächlich um einen sozialen Ausgleich bemühte, wofür ihm die damalige Bevölkerung dankbar war. Einen Zugang zur Persönlichkeit von F. Flick verschaffen teilweise die gedruckten Traueransprachen, die am 28.07.1972 im Robert-Schumann-Saal in Düsseldorf gehalten wurden. Auch wenn hier natürlich der Satz gilt „de mortuis nihil nisi bene“, finden sich hier doch viele persönliche Anmerkungen, die dazu beitragen, den Menschen F. Flick besser zu verstehen. Fritz Berg, von 1949 bis 1971 Präsident des BDI, verwahrte sich z.B. entschieden gegen das absolute „Zerrbild“, „… daß Friedrich Flick eine Maschine war, welche außer Gewinnstreben oder … Geldmachen nichts anderes im Sinn hatte …“ Zu der offiziellen Trauerfeier in Düsseldorf entsandte die Stadt Maxhütte-Haidhof ihren damaligen 2. Bürgermeister H. Humbs. Auch der ehemalige Bundeskanzler und Wirtschaftsminister Prof. Dr. Ludwig Erhard war hier geladen und erläuterte in seiner Ansprache sein persönliches Verhältnis zum Konzerngründer.

Der Bericht der Burglengenfelder Zeitung (heute MZ) vom 19.06.1953 bezog sich konkret auf die „Beseitigung der Wohnraumnot“ und die Unterstützung des paritätischen Mitbestimmungsmodells in der Maxhütte durch Flick. Nach Meinung der BZ handelte es sich bei ihm um einen „hochverdienten Wirtschaftspionier … Auch auf sozialem Gebiete sind die Leistungen des neuen Ehrenbürgers wohl einmalig … die Ernennung zum Ehrenbürger … erfüllt die gesamte Bevölkerung mit Stolz und Genugtuung.“ 

In der Burglengenfelder Ausgabe des Regensburger „Tagesanzeiger“ hieß es am 17.06.1953 anlässlich seiner Ernennung zum Ehrenbürger in Maxhütte etwas pathetisch: „Diese hohen Verdienste um die Bevölkerung des Notstandsgebietes im ostbayerischen Grenzraum, der ohne die Industriebrennpunkte der Maximilianshütte kaum lebensfähig gedacht werden kann, haben Dr. Flick für alle Zeiten einen Ehrenplatz unter den Wohltätern der Menschheit gesichert.“

Friedrich Flicks Lebensweg und sein Lebenswerk zu beurteilen fällt schwer. Die Frage, ob er bestimmte Entscheidungen in seinem Leben im Nachhinein bereute, kann nicht beantwortet werden. Seine Mitwirkung an den Untaten des Dritten Reichs büßte er (strafrechtlich) durch seine Haft ab. Vielleicht sollte akzeptiert werden, dass Flick mehrere Leben lebte: Eines vor 1933, jeweils eines im Dritten Reich und in der Haft in Landsberg am Lech und eines nach 1950. In vielen Dingen blieb er sich ein Leben lang treu, andere Einstellungen veränderten sich im Alter. Seine Haltung zu sozialen Problemen wandelte sich wahrscheinlich nach dem Ende des 2. Weltkriegs. Die Dankbarkeit, die die Menschen im Städtedreieck gegenüber Flick in den 50er und 60er Jahren empfanden, war nicht vorgespielt. Sie waren überzeugt, dass er ihnen in schwierigen Zeiten geholfen hatte. Bis heute kursieren im Städtedreieck Anekdoten über diesen exzentrischen Milliardär.



[1] Vgl. zu seiner Biographie Bähr, Johannes u.a.: Der Flick-Konzern im Dritten Reich. München 2008, Frei, Norbert: Flick. Der Konzern, die Familie, die Macht. München 2009, Priemel, Kim Christian: Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Göttingen 2007 und Veit Damm, Flick, Friedrich, in: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V. (http://www.isgv.de/saebi/ (15.4.2021). Auch der journalistisch angelegte Beitrag von B. Engelmann in Engelmann, Bernt und Wallraff, Günther: Ihr da oben, wir da unten. Reinbek bei Hamburg 1973 ist immer noch lesenswert. Daneben wurden auch die Unterlagen der Stadtarchive Maxhütte-Haidhof und Teublitz benützt (für Maxhütte-Haidhof Registratur 023, für Teublitz Registratur 631). Zusätzlich wurde auf eine Zeitungsausschnittsammlung zurückgegriffen, die auf http://purl.org/pressemappe20/folder/pe/005313 zur Verfügung gestellt wird.

[2] Vgl. dazu Jung, Susanne: Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse. Dargestellt am Verfahren gegen Friedrich Flick. Tübingen 1992.

[3] Internas zum Privatleben von F. Flick finden sich vornehmlich im Spiegelartikel vom 16.09.1958 und in dem Beitrag von B. Engelmann (wie Anm. 1).

[4] Reusch, Paul: Die „Münchner neuesten Nachrichten“. Zum Problem Industrie und Presse in der Endphase der Weimarer Republik, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 20 (1972), S. 75-103.

[5] Traueransprache Konrad Kaletsch, in: Friedrich Flick. Zum Gedenken. Trauerfeier, Ansprachen am 28. Juli 1972, S.7f.

[6] Thomas Ramge: Die Flicks. Eine deutsche Familiengeschichte über Geld, Macht und Politik. Frankfurt/M. 2004, S. 92.

[7] Traueransprache Konrad Kaletsch, S. 8 (wie Anm. 5).

Quelle: Stadtarchivar Dr. Thomas Barth